Die Idee unsere Gedanken und Absprachen außerhalb unseres eigenen Kopfes niederzuschreiben und zu externalisieren, ist so alt wie die Schrift und damit mehr als 5000 Jahre. Schon Platon kritisierte hunderte Jahre vor unserer Zeitrechnung diese Praxis aufgrund der Befürchtung, dass dadurch unsere Erinnerungsfähigkeiten nachlassen würden.
Mnemonische Techniken, die für das Einprägen von umfangreichen Informationen entwickelt wurden, können unsere Gedächtnisfähigkeiten auch heute auf ein neues Level bringen. Insgesamt aber hat sich die Zahl der Informationen, mit denen wir tagtäglich konfrontiert werden, dermaßen erhöht, dass wir gar nicht anders können, als einen Großteil von ihnen außerhalb unserer selbst zu speichern. Das gilt besonders, wenn wir kreativ tätig sind.
Ich glaube, dass unsere eigenen Gedankenprodukte die größte Inspirationsquelle sind, die uns zur Verfügung steht. Deswegen ist es mir sehr wichtig, so viel wie möglich davon aufzubewahren, um später darauf zurückgreifen zu können. Kaum überraschend stieß daher das Hörbuch “Building a second brain” von Tiago Forte bei mir sofort auf offene Ohren und Türen.
Ich nutze seine Techniken nun schon seit mehreren Monaten und finde, es ist an der Zeit mal darüber zu berichten. Dabei möchte ich mich nicht auf die von ihm vorgestellten Arbeitsweisen beschränken, sondern in einem Rundumschlag alle digitalen Tools vorstellen, die ich nutze, um Gedankenprozesse auszulagern und den Kopf frei zu haben. Ein Second Brain, so wie ich es verstehe, ist nicht nur ein zweites Gedächtnis, sondern auch eine Organisationshilfe, die mir den Alltag erleichtert.
Notizen und Dokumente
Bei Fortes Second Brain geht es in allererster Linie darum, das Gedächtnis auszulagern und Notizen und Dokumente nach dem P.A.R.A Prinzip zu sortieren. Dies hilft dabei, den Überblick zu behalten und im jeweils benötigten Kontext wieder auf die Inhalte zugreifen zu können. P.A.R.A steht dabei für
Projects
Areas of Responsibility
Resources
Archive
Projects sind Serien von Aufgaben mit einem festen Enddatum, zum Beispiel ein Song, den du aufnehmen willst und für den du Fragmente notierst, ein Projekt in deiner Wohnung, für das du Inspiration sammelst oder auch das Buch, das du schon so lange schreiben willst. All das wären Unterordner der Kategorie Projects. Für mich hat diese Benennung nicht so viel Sinn gemacht, da ich selten größere Projekte mit festen Deadlines verfolge, daher habe ich es umbenannt in Priorities und verfolge dort alles, was gerade die höchste Priorität hat.
Areas of Responsibility sind Lebensbereiche, an denen du kontinuierlich arbeitest und gewisse Standards erwartest. Das kann dein Job sein, aber auch ein Blog, ein Hobby, deine persönliche Fitness. Resources sind Themen für die du dich langfristig interessierst und die sich vielleicht irgendwann in ein Projekt oder eine Area verwandeln könnten. Das Archive umfasst, wie der Name schon sagt, alle Projekte, Areas und Ressourcen, die nicht mehr relevant für dich und daher inaktiv sind. Es könnte aber sein, dass der ein oder andere Inhalt daraus noch einmal nützlich sein könnte, daher wird es archiviert und kann leicht über die Suche oder den Unterordner gefunden werden.
Nach diesem Prinzip sortiere ich nun schon seit einer Weile alle Dokumente auf meiner Festplatte, alle Notizen in Evernote und alle Dokumente in Google Drive und Coda. Prinzipiell eignet es sich für jede Notizapp, die man nutzt. Es ist sehr übersichtlich und gut organisiert. Inhalte zu Projekten und Lebensbereichen mit einer hohen Priorität stehen immer ganz oben und man findet leicht relevante Notizen wieder.
Zusätzlich gibt es bei mir noch einen Eingang bzw. den Downloads-Ordner, wo ich erstmal alles reinpacke, was mir in den Sinn kommt oder ich irgendwo finde. Einmal pro Woche werden diese Ordner aussortiert. Ich mache das immer Sonntags im Rahmen meiner Wochenrückblicksroutine und gehe dazu meine Emails, mein Evernote, meine Festplatte und mein OneTab durch.
Die Kunst ist es, nicht zu viele Notizen zu horten, aber auch nicht zu wenige. Bevor du etwas speicherst, solltest du dir immer überlegen, ob du es noch einmal gebrauchen kannst und es dich zu einem späteren Zeitpunkt inspirieren oder weiterbringen könnte. Ich kopiere mir interessante Ausschnitte aus Artikeln, die ich lese, mache mir Notizen zu Gesprächen mit Menschen und sammle akribisch alle Ideen und Fragmente, die mein Geist so produziert, z. B. sammele ich lustige Anekdoten aus meinem Alltag und Ideen, Liedzeilen oder Metaphern für Songs.
Aufgaben und ToDos
Was Aufgaben und ToDos sind, muss ich wohl kaum erklären. Der Kopf von uns allen ist doch ständig voller Kleinigkeiten, die noch erledigt werden müssen, Sachen, die man noch besorgen wollte, Menschen, mit denen man sprechen wollte usw.
Das Internet besteht gefühlt zu 45% aus Tipps zum Thema Aufgabenmanagement und Produktivität. Ob man seine Todos nun in einem Bullet Journal, auf einem Notizzettel, im Kalender, Email-Programm oder in einer App notiert, hängt von persönlichen Präferenzen ab. Wichtig ist aber zunächst einmal, diese drängenden Nervensägen aus dem Kopf zu kriegen, damit man den Überblick behält und entsprechend seiner langfristigen Ziele priorisieren kann.
Ich nutze für meine Todos ein Board in Trello, das ich Wochenplan genannt habe. Das Prinzip ist simpel. Ich habe für jeden Tag der Woche eine Liste mit Aufgaben, die ich jeweils am Sonntag auf die einzelnen Wochentage verteile, sowie einen Eingang und einen Ausgang bzw. Done-Liste.
Das ganze Geheimnis liegt in sich wiederholenden Aufgaben. Ich denke mir nicht jede Woche neu aus, was ich im Haushalt tun muss, sondern die Todos erstellen sich von selbst. Der Müll muss schließlich jede Woche rausgebracht werden und auch Staubsaugen muss ich regelmäßig. Trello ermöglicht es, eine bestimmte Frequenz einzustellen, also Karten können sich wöchentlich, monatlich oder jährlich wiederholen, wobei man auch einen Zwei-Wochen- oder Drei-Monats-Takt einstellen kann.
Außerdem nutze ich für jede Aufgabe zwei farbige Labels, um meine Aufgaben nach der Eisenhower-Matrix zu priorisieren und einen Ausführungsort zu markieren. Rot steht für 1) Wichtig & Dringend, Orange für 2) Wichtig & Nicht Dringend, Gelb für 3) Nicht Wichtig & Dringend, Blau für 4) Nicht Wichtig & Nicht Dringend und dann habe ich noch Türkis für 5) Verabredungen mit anderen Menschen. Die Orte füge ich hinzu, um meinen Tag besser planen zu können, es gibt “Zu Hause”, “Draußen” und “am PC” bzw. “am Handy”. So kann ich gleich sehen, was ich unterwegs erledigen und was ich in meine morgendliche PC-Routine einbauen muss.
Für mich ist dieses Trello-Board ein Lebensretter! Es gibt sicher Leute, die sich gerne um ihren Haushalt kümmern. Ich gehöre nicht dazu. Aber mit Hilfe meines Wochenplans nähere ich mich so langsam dem Ziel, es auf die Reihe zu bekommen.
Damit das funktioniert, schaue ich morgens als allererstes in meinen Wochenplan, archiviere die Aufgaben des Vortages und verschiebe den gestrigen Tag ans Ende des Boards, sodass der aktuelle Tag vorn steht. Dann prüfe ich, was ich zu tun habe und plane meinen Tag. Es hilft mir sehr, stets die ganze Woche im Blick zu behalten. Schließlich kann man nicht alles an einem Tag schaffen.
Benachrichtigungen und Erinnerungen
Tägliche Routinen protokolliere ich in einer App namens Zieltracker, die mich auch jeden Tag daran erinnert, diese Dinge zu tun. Ich habe so nicht nur eine Statistik darüber, an welchen Tagen ich meine Medikamente genommen und wie oft ich Gitarre geübt habe, sondern vergesse diese Dinge auch nicht mehr. Alternativ kann man sich natürlich einen Wecker stellen oder die Erinnerungsfunktion seines Kalenders nutzen.
Eine wichtige Entlastung meines Gehirns!
Fazit
Das digitale Zeitalter bietet zahlreiche Tools, um den Kopf frei zu kriegen und Gehirnaufgaben zu externalisieren. Da unsere Welt so schnell geworden ist und wir irgendwie mit dem Informationsüberfluss klarkommen müssen, ist es beinahe unabdingbar auf Apps und Anwendungen zurückzugreifen und bestimmte Informationen auszulagern. Wichtiger als die Tools, sind aber die Methoden, die wir nutzen, um das Chaos zu organisieren und zu strukturieren.
Der Nachteil ist, dass wir durch die Second Brain Methoden nicht nur zusätzliche Aufgaben erschaffen, schließlich müssen die Workflows gepflegt und gemanagt werden, sondern in manchen Fällen auch ein Mehr an Stress produzieren. Wenn ich 32 Items in meiner ToDoListe habe, bin ich vielleicht schon am Anfang des Tages demotiviert und je mehr Benachrichtigungen auf meinem Handy aufploppen, desto gehetzter fühle ich mich.
Es gilt daher, ein gesundes Maß zu finden und sich die Frage zu stellen, ob es die Sache wert ist. Wer kann, sollte in jedem Fall auf Entschleunigung setzen und versuchen, die Masse an Informationen, die auf ihn/sie einprasseln zu reduzieren. Leider ist das nicht immer möglich und da helfen die von mir vorgestellten Methoden sehr, sich auf das Wesentliche zu fokussieren. Mir zumindest.
Jetzt Du
Hast du auch ein Second Brain? Welche Tools und Methoden nutzt du, um dein Gehirn zu entlasten? Was hilft dir, deinen Alltag besser zu bewältigen? Lass es uns in einem Kommentar wissen!